Mit Blick auf die Kunden sieht Dr. Rüdiger Brockmann, CTO/CSO beim Maschinenbauer Zeltwanger, vor allem drei wesentliche Treiber für den momentanen Automations-Boom: Neben dem Plus an Produktivität (etwa durch zusätzliche mannlose Schichten) und an Qualität (durch Reproduzierbarkeit) spiele mehr und mehr der Fachkräftemangel eine Rolle. Und dabei gehe es nicht nur darum, das Fehlen von Fachkräften durch Automation zu kompensieren, sondern auch um die Entlastung vorhandener Mitarbeiter. Kürzlich habe ein Kunde gesagt: „Wir müssen automatisieren, um unsere Mitarbeiter zu binden.“ Zumal mit der jungen Generation eine neue Generation in die Betriebe komme, die ganz andere Anforderungen habe und bestimmte, eintönige Jobs gar nicht machen wolle, wie Katja Butterweck, Global Product Specialist bei ABB, ergänzt. Mehr noch: Diese Generation habe dank Smartphone & Co. einen ganz anderen technologischen Wissensstand. „Die Kinder lernen schon in der Schule, mit Robotern umzugehen. Das gibt für uns eine komplett neue Nutzergruppe, die eine andere Nachfrage generiert, die bedient werden will.“
Und auch die globalen Krisen hinterlassen ihre Spuren. „Viele Firmen haben erkannt, dass sie internationale Abhängigkeiten reduzieren müssen. Das Reshoring von Produktionsanlagen nach Deutschland und Europa steht daher momentan ganz oben auf der Tagesordnung. Dafür ist Automation unabdingbar“, so Dirk Engelbrecht, CEO der Plattform Andugo: „Automation darf daher kein Privileg für Experten sein, sondern muss einfacher, zugänglicher und transparenter werden.“
Mladen Milicevic, CEO von Unchained Robotics, fordert dafür eine ganz grundlegend veränderte Herangehensweise. „Erstens müssen wir aufhören, in Maschinen- und Anlagenbau zu denken und mehr in konkreten Kundennutzen. Und zweitens müssen wir pragmatischer und agiler vorgehen, anstatt Projekte in einem Lastenheft schon vor deren Beginn zu Ende zu denken.“ Dieses iterative und problemorientierte Vorgehen sei in der Softwareentwicklung schon lange üblich. „Das muss nun auch der Maschinenbau lernen.“
Um die Automatisierungstechnik in die Breite zu bringen, müssen aber auch die Anbieter verstärkt in Modulen und fertigen Bausteinen denken. SCHUNK-COO Johannes Ketterer nennt ein Beispiel: „Wir bieten standardisierte Software-Bausteine mit offenen Schnittstellen, damit unsere Komponenten leicht in den Roboter zu integrieren sind. Dadurch können sie Integratoren und Endkunden als Applikationspakete schnell und einfach zur Verfügung gestellt werden.“
Damit dieses Denken in Modulen auch technisch funktioniert, sind aber standardisierte Schnittstellen nötig, betont Thomas Retzlaff, Vice President Partner Development and Ecosystems bei Wandelbots. Er verweist auf ähnliche Entwicklungen in der IT-Industrie. „Durch Standardisierung werden Prozesse einfacher und Komponenten austauschbarer. Damit geht meist auch die Preis-Eintrittshürde nach unten.“ Aus Retzlaffs Sicht wandert daher die Wertschöpfung in der Robotik zunehmend von der Hardware in Richtung Software. Milicevic vergleicht diese Entwicklung mit dem heute üblichen Plug&Play bei PCs. „Von solchen offenen Schnittstellen und einer weitreichenden Kompatibilität sind Robotik und Automation zwar noch ein gutes Stück entfernt, aber es ist klar, wohin die Reise geht.“
Um dem steigenden Kundenbedarf schnell gerecht zu werden, braucht es aber nicht nur offene Schnittstellen und modulare Bausteine, sondern auch ein Denken in Partnerschaften, betont SCHUNKs COO Ketterer. „Denn das Denken in Partnerschaften bringt eine ganz andere Geschwindigkeit und findet derzeit daher viel intensiver statt als noch vor fünf bis sechs Jahren. Wir müssen uns verstärkt auf unsere Kernkompetenz konzentrieren, um den riesigen Bedarf zu decken.“ Dass diese strategische Orientierung an Partnerschaften für SCHUNK enorm wichtig ist, unterstreiche auch der neue Firmen-Claim „Hand in hand for tomorrow“.
Die Fähigkeit zur Kooperation ist für Brockmann auch deshalb entscheidend, weil die „Prozessketten heute lang und komplex sind, so dass kaum jemand alle Prozessschritte allein beherrscht. Wir müssen daher verstärkt in Partnerschaften entlang der Prozesskette denken, um jeden einzelnen Prozessschritt optimal abbilden zu können.“ Das sei aber auch eine Chance für die vielen kleinen Player aus Deutschland, die oft ihren Technologie-Ausschnitt besser beherrschen als andere.
Dieses Denken in Bausteinen und standardisierten Schnittstellen schafft letztlich auch die Grundlage für Plattformen und Ökosysteme, die ganz neue disruptive Möglichkeiten schaffen, wie Retzlaff betont. „Denn in der Plattform-Ökonomie wachsen Geschäftskontakte nicht linear, sondern exponentiell. Hier hat man die Chance, sein Produkt einem wesentlich größeren möglichen Nutzerkreis vorzustellen.“
Aber vor allem für die Kunden bringen solche Plattformen, wie man sie in Form von Airbnb oder Booking.com aus dem Privatleben kennt, jede Menge Vorteile. „Plattformen beschleunigen den ganzen Prozess, denn sie befördern das dezentral vorhandene Wissen an die Oberfläche und bringen alle Partner auf einem Marktplatz zusammen“, so Ketterer. Zudem zeigen Plattformen wie z. B. Robotik-Plattformen, welche Lösungen bereits in der Praxis umgesetzt sind, und regen so die Nachfrage bei anderen Kunden an.
Um sich in dieser Plattform-Ökonomie mit all ihrer Transparenz und Austauschbarkeit zu behaupten, legen die Automations-Player den Fokus mehr und mehr auf Software, Services und Kundennutzen anstatt auf die reine (Hardware-)Technologie. „Wir müssen die Kunden an einer ganz anderen Stelle abholen, als wir das in der Vergangenheit getan haben“, so Ketterer. „Daher müssen wir wesentlich näher an die Endkunden und an die Prozesse heranrücken.“
Ein Mittel dazu seien die SCHUNK CoLabs, in denen man gemeinsam mit den Kunden Automationslösungen erarbeite, so Ketterer: „Agil und mit standardisierten Komponenten erstellen wir dort ein Proof of Concept und zeigen Automationseinsteigern, dass ihr Prozess, der noch manuell läuft, grundsätzlich automatisierbar ist. Damit reduzieren wir nicht nur das technische Risiko, sondern auch die Einstiegshürden bei unseren Kunden.“
Allerdings ist die Frage, was mit Sondermaschinenbauern und Robotik-Systemintegratoren passiert, wenn sich Lösungen künftig einfach und schnell im Baukastenprinzip zusammenstellen lassen. Sind diese dann die Verlierer des Wandels? ABB-Expertin Katja Butterweck glaubt nicht, dass traditionelle Integratoren und Sondermaschinenbauer verschwinden werden. „Der Markt ist so riesig, dass diese bleiben werden. Aber zusätzlich werden ganz neue Integratoren entstehen, die es schaffen, die standardisierten Module zusammenzubringen.“
Auch Retzlaff geht davon aus, dass die Anzahl der Integratoren in den nächsten zehn Jahren signifikant steigen wird. „Das Integrationslevel wird aufgrund der Standardisierung insgesamt jedoch sinken.“ Engelbrecht geht davon aus, dass die Zukunft nicht komplexen individuellen Sonderanlagen gehört, die 99,5 % aller Anforderungen erfüllen. Vielmehr werden diese teuren, maßgeschneiderten Lösungen durch 90%-Lösungen ersetzt, die aus modularen Bausteinen einfach zusammengesetzt werden können.
Für die Kunden dürfte das gut sein, denn in den heutigen Projekten liegt ein wesentlicher Anteil in den Engineering Kosten. Ketterer ist daher überzeugt, dass es in der Automation in den nächsten vier bis fünf Jahren ein „starkes Wachstum geben wird, weil wir durch standardisierte und modularisierte Applikationen in der Lage sind, Lösungen noch viel schneller an den Endkunden heranzubringen. Zumal sich die ganze Industrie in den letzten zwei, drei Jahren mit einer Geschwindigkeit bewegt, die man in 10 bis 15 Jahren davor nicht gesehen hat. Da ist schon sehr viel auf dem richtigen Weg.“